DentalTrainer Fehlerkultur

Null Toleranz im Umgang mit Fehlern? Oder ist irren einfach nur menschlich?

Unser DentalTrainer Daniel Schwalbe stolperte auf einer Online-Plattform über eine Diskussion zum Thema „Fehlertoleranz im beruflichen Umfeld“. Lesen Sie hier den Kommentar von Daniel dazu:

Auf der besagten Online-Plattform wurde der Begriff „Toleranz“ offensichtlich sehr unterschiedlich verstanden. Einige Diskussionsteilnehmer argumentierten eher technisch und für mich als Ingenieur gut nachvollziehbar: Ein System darf durch einen menschlichen Fehler nicht zusammenbrechen. Weil wir Menschen nun aber nicht perfekt sind, habe ein Entwickler oder Konstrukteur dies zu berücksichtigen und die Technik oder Organisation müsse sich selbst gegen Fehler schützen, also tolerant sein. Andere Teilnehmer waren offenbar Juristen oder Polizisten, für sie waren die Begriffe Fehler und Toleranz unvereinbar – ein Fehler sei grundsätzlich nicht akzeptabel und könne nicht toleriert werden. Wieder andere Teilnehmer waren eher humanistisch geprägt und meinten, man müsse tolerieren, dass Menschen Fehler machen, dies dürfe man ihnen keinesfalls vorwerfen.

Halten Sie an dieser Stelle kurz inne. Was ist Ihre Einstellung zu Fehlern in Ihrer Praxis?

Interessant wurde die Diskussion aus meiner Sicht, als jemand fragte, ob man sich denn von einem Arzt behandeln lassen würde, der sagt, er mache Fehler. Die Frage war wohl rhetorisch gemeint und für diesen Diskussionsteilnehmer war ein guter Arzt offensichtlich nur derjenige, der keine Fehler macht.

Nochmal kurz innegehalten. Ich bin Pilot bei einer großen Airline, würden Sie bei mir einsteigen, wenn ich Ihnen sagen würde, dass ich im Cockpit Fehler mache?

Vermutlich sind wir uns schnell einig, dass ein offener Umgang mit Fehlern kein geeignetes Marketingwerkzeug ist. Und auch gegenüber Patienten ist es sicher geboten, mit dem Wort Fehler sehr restriktiv umzugehen. Ganz anders stellt sich die Situation aber gegenüber Ihren Praxis-Mitarbeitern dar. Das Schaffen einer Fehlerkultur, die auf einem offenen Umgang mit Fehlern beruht, bietet nämlich eine Menge Chancen.

Frage ich nach diesen Chancen, wird als erstes auf das Lernen aus Fehlern verwiesen. Das ist sicher auch ein wichtiger Punkt, aber aus welchen Fehlern lernen wir denn? Oftmals sind es doch die, die größere Komplikationen ausgelöst haben und so für Aufmerksamkeit sorgten, im Team oder sogar in der Öffentlichkeit. Sinnvollerweise werden dann CIRS dent-Meldungen (CIRS = Critical Incident Reporting System, weitere Infos der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung finden Sie hier) verfasst, Protokolle angefertigt oder sogar Gutachten geschrieben und eine Menge Maßnahmen und Verbesserungen abgeleitet.

Nun kam es also schon zur Komplikation, der Schaden ist bereits entstanden. Mit nicht unerheblichem Mehraufwand an Material und/oder Personal muss dafür gesorgt werden, dass nichts Schlimmeres passiert.

Betrachten wir dann die Fehleranalysen, stellen wir in den allermeisten Fällen fest, dass einige auslösende Faktoren nicht zum ersten Mal aufgetreten sind. Falsch bereitgelegtes Material beispielsweise gab es schon öfter. Oder die Vorbesprechung des Eingriffs wurde aus Zeitgründen nicht abgehalten und führte immer wieder zu Missverständnissen zwischen Arzt und Assistent. Wäre es also nicht besser gewesen, zu reagieren, bevor es zur Komplikation kam?

Die berühmten Fehlerketten, die aus einer Aneinanderreihung von kleineren Fehlern zusammengesetzt sind und uns am Ende erhebliche Schwierigkeiten bereiten, lassen sich an jedem Kettenglied zerteilen. Wir müssen uns nur darum kümmern und aktiv werden, auch bei vermeintlichen Kleinigkeiten. Dabei ist es verhältnismäßig einfach, als Chef die eigenen Mitarbeiter auf Fehler hinzuweisen. Schon schwieriger ist es, dies in einer Art und Weise zu tun, die nicht demotiviert. Und die wirkliche Kunst ist es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der auch die Mitarbeiter den Chef auf Fehler oder Schwächen hinweisen.

Wie ist das bei Ihnen, dürfen Ihre Mitarbeiter Sie kritisieren? Und tun sie das? Wie reagieren Sie darauf?

Viele große Katastrophen der Menschheitsgeschichte passierten, weil die Atmosphäre im Team eben keine Kritik erlaubte. Der bis heute schlimmste Unfall der Luftfahrt, 1977 auf Teneriffa, hätte verhindert werden können, wenn der Kapitän auf die Bedenken seines Copiloten reagiert hätte. Die Raumfähre Challenger explodierte, weil man auf die Hinweise eines Ingenieurs nicht reagierte. Das Kernkraftwerk von Tschernobyl explodierte, weil der leitende Ingenieur keinen Widerspruch gegen einen nicht regelkonform durchgeführten Test duldete. In allen Fällen waren es hoch angesehene und äußerst erfahrene Experten, die mit ihrer Einschätzung falsch lagen.

Wir müssen, egal wie gut wir in unserem Fach sind, damit rechnen, dass wir eines Tages falsch liegen mit einer Einschätzung. Ich persönlich wäre ausgesprochen dankbar, wenn mir an diesem Tag irgendjemand aus meinem Team einen Hinweis gibt und ich meine Einschätzung korrigieren kann, bevor es zum Schaden kommt. Und ich versuche unablässig, vom Bodenmitarbeiter über die Flugbegleiter bis zum Copiloten, wirklich jeden zu motivieren, mich auf alles hinzuweisen, was gerade nicht rund läuft. Und dabei schließe ich mein eigenes Verhalten ausdrücklich mit ein. Ich möchte wissen, was meine Mitarbeiter gerade gut finden (Lob und positive Verstärkung sind auch in diesem Zusammenhang ausgesprochen wertvolle Werkzeuge, die einen eigenen Beitrag verdienen und auf die ich bewusst nicht weiter eingehe) und womit sie Probleme haben.

Die Weiterentwicklung einer (Fehler-)Kultur ist keine leichte Aufgabe. Neu einzuführende Techniken wie z. B. eine bewusste Reflexion von Verhalten im Team brauchen zunächst eine klare Struktur, um nicht vergessen zu werden. So kann eine Reflexionsrunde z. B. als Tagesordnungspunkt in die wöchentliche Teambesprechung aufgenommen werden oder als verpflichtender Punkt nach bestimmten Behandlungen.

Regelmäßige Teambesprechungen zu den kleinen Problemen des Alltags haben zwei wesentliche Vorteile. Zum einen können viele lästige Kleinigkeiten auf schnellem Wege gelöst werden und somit die Zufriedenheit aller Mitarbeiter gesteigert werden. Zum anderen üben wir uns darin angemessene und konstruktive Kritik zu äußern. Denn genau diese Fähigkeit brauchen wir, wenn es mal wirklich ernst wird.

Bleibt die Frage, wie ich es als Chef denn nun schaffe, die Mitarbeiter zum Sprechen über Fehler zu motivieren. Wie so oft ist die Antwort: Vorbild sein! Sprechen Sie offen über Ihre eigenen Fehler mit dem Team. Natürlich ist es anfangs ungewohnt und vielleicht auch unangenehm, aber wenn Sie Ihrem Team beweisen, dass sie keine negativen Konsequenzen befürchten müssen, sondern dass es einen positiven Lerneffekt für alle Beteiligten haben kann, sinkt die Schwelle. Wenn Sie es schaffen eine positive Fehlerkultur zu etablieren, bekommen Sie hoffentlich auch an dem Tag, an dem Sie vor dem Fehler Ihres Lebens stehen, einen gutgemeinten Hinweis.

Vor diesem Hintergrund ist meine Antwort auf die anfangs gestellte Frage eindeutig: Ich würde mich niemals von einem Arzt behandeln lassen, der sagt, er mache keine Fehler!

DentalTrainer_Daniel-Schwalbe

Als langjähriger Trainer und Berater für Human Factors schöpft Daniel Schwalbe aus dem Erfahrungsschatz der Luftfahrt und anderer Industrien, um für den jeweiligen Anwendungsbereich die passende Technik herauszufiltern und zu vermitteln. Als DentalTrainer bereichert er unsere Workshops mit seinem vielfältigen Erfahrungshintergrund.